Weltpremiere des Musicals „Helden, Helden“ vor 50 Jahren (1972)

 

Plakat: Theater an der Wien

Wer die Begriffe „Udo Jürgens“ und „Musical“ in einer bekannten Internetsuchmaschine eingibt, der stößt zuerst auf „Ich war noch niemals in New York“, welches 2007 in Hamburg Premiere feierte und dort bis 2010 mit großem Erfolg gespielt wurde, wie auch in einigen anderen Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und sogar in Japan (ja wirklich!). Über vier Millionen Besucher haben das Musical mit vielen Hits von Udo gesehen, und sicher haben die meisten Fans mindestens einmal eine Aufführung besucht. Das Musical wurde mit Preisen ausgezeichnet und es erhielt durchweg Bestnoten von Besuchern und Kritikern. Dies war dem ersten Musical aus der Feder von Udo Jürgens mit dem Titel „Helden, Helden“ - eine Satire gegen Krieg und Heldentum - leider nicht vergönnt, und sicherlich haben die wenigsten Fans einmal eine Aufführung gesehen, seitdem es vor 50 Jahren seine Welturaufführung feierte... 


Am 27. Oktober 1972 kam allerlei Prominenz in das traditionsreiche Theater an der Wien. Sogar der österreichische Bundespräsident war anwesend bei der Galapremiere zugunsten des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen. Der Publikumszuspruch war damals groß und auch im darauffolgenden Jahr wurde das Stück wieder ins Programm genommen. Insgesamt fanden in Wien bis zum 30.10.1973 ganze 130 Aufführung statt und damit fast so viele wie von „My Fair Lady“ drei Jahre zuvor. Schon am 23. Februar 1973 erlebte das Stück seine Deutschlandpremiere im Operettenhaus Hamburg sowie im Oktober 1973 am Stadttheater von Luzern. Auch in der DDR wurde es ab Oktober 1975 in der Musikalischen Komödie Leipzig aufgeführt und 1978 im Theater Stralsund.

 

Das Musical basiert auf dem Schauspiel „Arms and the Men“ des irisch-englischen Dramatikers George Bernhard Shaw aus dem Jahr 1884. Die Handlung - und damit auch das musikalische Thema von Udos Musik - spielt auf dem Balkan, in einer kleinen bulgarischen Stadt. Es herrscht Krieg zwischen Bulgaren und Serben. Mutter Katharina und die schöne Tochter Raina warten auf die Rückkehr des Verlobten von Raina, auf den bulgarischen Kavalleriemajor Sergius Saranoff. Dieser leitete die entscheidende Attacke auf eine serbische Artilleriestellung und ist damit in den Augen von Raina ein wahrer Held. Ein Offizier der in die Flucht geschlagenen Serben flieht in den Ort und versteckt sich im Schlafzimmer von Raina, wo er ihr Mittleid erregt und sie ihn vor den Verfolgern, den eigenen Bulgaren, versteckt. Er erzählt ihr von dem Zufall, der zum Triumph ihres Verlobten geführt hat - die Kanonen hatten wegen eines Fehlers beim Nachschub keine funktionierende Munition. Andernfalls hätten Sergius und sein Regiment die wahnwitzige Attacke wohl nicht überlebt. Der Flüchtende ist ein Söldner der serbischen Arme, der Schweizer Hauptmann Bluntschli. Er macht Raina gegenüber von seiner Abneigung gegen den Krieg keinen Hehl und erzählt ihr, dass er lieber Schokolade als Patronen mit sich trägt sowie andere Details aus dem Soldatenleben. So entzaubert er mehr und mehr das soldatische Heldentum. Raina versorgt ihn mit Pralinen und gibt ihm eine Jacke. Als er sicher vor seinen Verfolgern ist, zieht er weiter. Nach dem Krieg kommt er wieder in den Ort, um die Jacke zurückzugeben. Rainas (nun) Ehemann Sergius fordert ihn zum Duell heraus aber Bluntschli lehnt ab. Raina fühlt sich mehr dem Bluntschli hingezogen, als zu ihrem Ehemann und sie und Bluntschli finden zusammen. Sergius kommt mit der Magd Louka zusammen, die darauf schon länger hingewirkt hat. Eine Win-Win-Situation also...

 

Das Stück in zwei Akten hat insgesamt 19 Lieder, und sowohl die Wiener als auch die Hamburger Inszenierung sind damals auf Schallplatte erschienen (aber bisher nicht digital erhältlich). 

 

1. Akt


Daheim
Ein Mann ist nur ein Mann, wenn er Soldat ist
Helden, Helden
Das Bett
Wie nennt man das Gefühl **
Der Weg nach oben
Kanonen-Lied
Slibowitz
Tanz der Männer

 

2. Akt
Tanz der Mädchen
Wien, nur Du*
Der Dank des Vaterlandes
Leider, leider, leider
Wenn rot der Mohn erblüht
Drei Regimenter nach Philippopolis
Raina
Wenn die oben etwas dümmer wären
Wenn ich die Zarin von Russland wär’ **
Finale

 

*  nicht Teil der Hamburger Inszenierung

** schon von Anneliese Rothenberger aufgenommen

 

Nicht alle Lieder hatte Udo Jürgens speziell für das Musical komponiert. Zwei wurden bereits 1966 von der Opernsängerin Anneliese Rothenberger aufgenommen, allerdings mit anderem Titel und Text. Das Lied „So wie die Sonne für alle scheint“ wurde zu „Wenn ich die Zarin von Russland wär’“ und „Wie schön ist diese Welt“ heißt im Musical „Wie nennt man das Gefühl“. Es muss Udo besonders gut gefallen haben, denn er hat es 1972 auch selbst aufgenommen und auf dem Album „Ich bin wieder da“ veröffentlicht. Auf dem gleichen Album hat er auch „Daheim“ selbst gesungen und beide Melodien wurden auf einer Promotion Single im Vorfeld der Premiere auch als Instrumentalversionen veröffentlicht.

 

Der damalige Direktor des Theaters an der Wien, Rolf Kutschera, war ein Musicalpionier und in seiner Zeit als künstlerischer Leiter für 25 Musical-Inszenierungen verantwortlich. Er wollte unbedingt eine deutschsprachige Eigenproduktion auf die Bühne bringen, die den amerikanischen Musicals, die mit großem Erfolg in Wien gespielt wurden, in nichts nachstand. Schon seit 1968 hatte er den Stoff zu „Helden“ im Kopf, seit er ihn von dem Filmproduzenten Peter Goldbaum übernommen hatte. Diesem war es nicht gelungen, aus seinem Filmerfolg „Helden“ mit O.W. Fischer in der Hauptrolle eine Bühnenfassung zu machen. Kutschera besorgte sich die Rechte von den Erben von George Bernhard Shaw und wollte Udo Jürgens als Komponisten gewinnen, der zwei Jahre zuvor den Grand Prix Eurovision gewonnen hatte und dessen Karriere von Erfolg zu Erfolg eilte. Diese Anfrage kam genau zum richtigen Zeitpunkt, denn Udo spielte damals bereits mit dem Gedanken, sich einmal im Musical auszuprobieren. Zusammen mit Kutschera als Produzenten sowie dem Schweizer Hans Gmür (Buch), Eckart Hachfeld und Walter Brandin (Liedtexte) ging Udo das Projekt an. Als Arrangeure wurden Karl Kowarik vom Orchester des Theaters an der Wien und der Ungar András Bágya verpflichtet, die musikalische Leitung hatten Johannes Fehring und Robert Oprako inne.

 

Es dauerte aber noch sehr lange bis die Premiere 1972 nach einer hektischen Probenzeit stattfinden konnte. Von der Wiener Presse wurde nach der Premiere neben der Musik von Udo Jürgens vor allem der Hauptdarsteller, Michael Heltau, in der Rolle des Bluntschli gefeiert, die Kritikerstimmen waren aber eher negativ. So wurde etwa die folkloristische Komposition kritisiert und die Nähe zu Operettenklischees. Der SPIEGEL schrieb von einer „seichten Balkankomödie“ und von „Udos Allerweltsmusik“, die ZEIT („Wolf im Shaw-Pelz“) von Balkanfolklore, forscher Zirkusmusik und „Operetten Ohnsorg“. Udo Jürgens konnte diese heftige Kritik nicht unbeeindruckt lassen, ihn dürfte der Publikumszuspruch daher umso mehr gefreut haben. In seiner Autobiographie „Smoking und Blue Jeans“ beschreibt Udo, wie er noch fast ein Jahrzehnt später mit mulmigem Gefühl daran zurückdachte, in Wien „einen Riesenerfolg und Niederlage zugleich“ erlebt zu haben. Tatsächlich habe er „ein Leben lang Lust gehabt, ein großes Stück zu schreiben.“ Er berichtet von den Schwierigkeiten der Arbeit am Libretto (dem Text einer Oper oder eines Musicals) und davon, dass ein paar Dinge anders aufgenommen wurden, als er es selbst eingeschätzt hatte. Zum einen habe man wohl eher „rockige, rauschhafte Kompositionen“ erwartet, wie sie Andrew Lloyd Webber für Jesus Christ Superstar komponiert hatte oder etwas á la Hair. Er hätte lieber davon sprechen sollen, eine Operette zu komponieren, dann wären einige Missverständnisse wohl ausgeblieben. Außerdem schreibt er, dass nach seiner großen Tournee Udo ’70 zu viel Medienberichte über ihn erschienen seien, so dass er den Menschen langsam „zum Hals heraushing“. Eine sehr ehrliche Selbstkritik wie ich finde. „Das Maß voll“ nannte er die Tatsache, dass der österreichische Bundespräsident bei der Premiere zu Gast war und die Nationalhymne gespielt wurde, was von den anwesenden ca. 150 Journalisten dann als Marketing-Gag seines Managers Hans R. Beierlein aufgefasst wurde. Man hatte es wohl einfach übertrieben damals...

 

Der Hauptdarsteller der Wiener Inszenierung, der Schauspieler Michael Heltau in der Rolle des Hauptmann Bluntschli, stand schon sehr früh fest. Allerdings war für die Rolle auch mal Peter Alexander im Gespräch. Weitere Mitglieder der Wiener Besetzung waren u.a. aus dem Opernfach kommend Irmgard Seefried (Katharina Petkoff), Gabriele Jacoby (Raina), Julia Migenes (Louka) und Ossy Kolmann sowie alternierend Kurt Sobotka (Nicola). In der Hamburger Inszenierung wurden diese Rollen gespielt von Paul Hubschmied (Bluntschli), Marianne Schubart (Katharina), erneut Gabriele Jacoby als Raina und Julia Migenes als Louka sowie Joachim Wolff (Nicola). Die Inszenierung in Hamburg wurde von Karl Vibach vorgenommen, musikalischer Leiter war dort Fritz Giesler. 

 

Fazit: Helden, Helden hat eine kurzweilige und eingängige Musik mit schönen Melodien und ist allemal ein Hören wert! Hoffen wir, dass man sich auch wieder an eine Rückkehr auf die Bühne traut.

 

© Daniel Speck (www.udowiki.com)

 

Plakatfoto: Theater an der Wien

 

Quellen:
Attila E- Láng: Das Theater an der Wien - Von Singspiel zum Musical, Jugend und Volk Wien - München, 1976 
Peter Back-Vega: Theater an der Wien - 40 Jahre Musical, Amalthea Signum Verlag, 2008
Udo Jürgens: Smoking und Blue Jeans, Gustav Lübbe Verlag, 1984
Wolfgang Jansen: Cats & Co. - Geschichte des Musicals im deutschsprachigen Theater, Henschel, 2008
Programmheft des Musicals „Helden, Helden“, Theater an der Wien, 1972
Programmheft des Musicals „Helden, Helden“, Operettenhaus Hamburg, 1973
ZEIT Nr. 10/1973 „Wolf im Shaw-Pelz“ von Manfred Sack
SPIEGEL Nr. 46/1972 „Mein bester Freund ist das Klavier“ von Fritz Rumler
www.udofan.de